An ihren Prognosen sollt ihr sie messen

Wie immer zum Jahresanfang mangelt es nicht an Prognosen, was das “Energiejahr 2014” wohl bringen wird. Dann geht das Jahr ins Land und niemand prüft nach, ob sie denn auch gestimmt haben. Wir schon: Heute stellen wir exemplarisch zwei interessante Prognosen vor, und in einem Jahr prüfen wir, ob sie eingetreten sind. Versprochen!

Der Energiejournalist Jakob Schland hat im Blog Phasenprüfer fünf Vorhersagen zur deutschen Energiepolitik 2014 veröffentlicht: 1. Sigmar Gabriel wird seine EEG-Reform weitgehend unverändert durchsetzen. 2. Europa zerstreitet sich heillos über den Klimaschutz. 3. Die Krise der Solarwirtschaft wird sich auf die gesamte Öko-Energiebranche ausweiten, also auch auf Windkraft, Biomasse, Forschung, die Beraterbranche etc. 4. Andere Zukunftsthemen wie etwa die Speichertechnologie oder Eigenstromerzeugung werden kaum vorankommen. Denn der Markt für Eigenstromerzeugung ist durch die EEG-Umlage praktisch tot. 

Als fünfte Vorhersage prohezeit Schland schließlich noch eine “große Unbekannte”. So wie es in den vergangenen Jahren regelmäßig eine Überraschung gegeben hat, die niemand auf dem Zettel hatte (der EEG-Schock, Fukushima, der Ausgang der Landtagswahl in Baden-Württemberg 2012 etc.), wird es auch dieses Jahr wieder ein unvorhergesehenes Ereignis geben. Vielleicht ein Blackout oder – mit etwas Optimismus – vielleicht doch eine unerwartete Einigung der EU auf eine gemeinsame Energiepolitik?

Eine globale Perspektive nimmt Michael Liebreich, CEO von Bloomberg Energy Finance, ein. Er prophezeit für 2014 “a year of cracking ice”. Das Bild drückt aus, dass sich seiner Einschätzung nach über die letzten Jahre auf dem Energiesektor ein enormer Veränderungsdruck aufgebaut hat, der sich bald entladen wird. 2014 sieht er das Eis bersten.

Als Beispiele nennt er die Angleichung der Produktionskosten für Solar- und Windenergie an konventionell erzeugte Energie, die steigende Flexibilität der Stromnetze und den Einfluss der Erneuerbaren Energien auf den Strompreis. Auch die zunehmende Aufgeschlossenheit der Verbraucher gegenüber neuen Technologien wie Elektro-Autos oder etwa dem Nest Thermostat in den USA spielt eine Rolle. Gleichzeitig dämmere den Energieanbietern, dass diese Entwicklung ihr bisheriges Geschäftsmodell existenziell in Frage stellt. Und Investoren fingen an, sich Sorgen um Ihre Investments in fossile Brennstoffe zu machen, worüber wir auch in diesem Blog schon an anderer Stelle berichtet haben.  

Ob das stimmt? Die nächsten Monate werden es zeigen. Das Blogheizkraftwerk beobachtet weiter die Wirklichkeit und sagt ihnen im Dezember, ob das Eis tatsächlich geborsten ist und Gabriel sich durchgesetzt hat. Wir sind gespannt.

Eigenstromversorgung: Bundesregierung will weniger Marktwirtschaft

Die Bundesregierung will eine Abgabe für Fahrradfahrer einführen, weil sie den öffentlichen Personnennahverkehr nicht nutzen. Mit dem Geld soll ein Steigen der Fahrscheinpreise für die Nutzer des ÖPNV abgemildert werden. Berechnungsgrundlage für die Abgabe ist jeder ohne ÖPNV zurückgelegte Kilometer. Geplant ist außerdem eine Abgabe für selbst gebackenes Brot und im Garten angebautes Gemüse zugunsten von Bäckern und Gemüsehändlern. 

Was in diesen Beispielen grotesk klingt, ist für Eigenstromerzeuger bald Wirklichkeit: Die Regierung will den “Eigenverbrauch” von Strom mit der EEG-Umlage belegen. Wer z.B. seinen Strom mit einer Photovoltaik-Anlage auf dem Dach oder einem Blockheizkraftwerk im Keller selbst produziert, muss dann pro KWh Strom 70 Prozent des EEG-Umlagesatzes zahlen.

Man muss sich vergegenwärtigen, was das im Ergebnis bedeutet: Wer eine Leistung (im „öffentlichen“ Netz bereitgestellter Strom) nicht bezieht, weil er sie selbst produziert, soll de facto trotzdem dafür zahlen. Und zwar mit der Begründung, dass diese Leistung sonst für die anderen zu teuer wird. Oder anders formuliert: Wer sich aus einem System ausklinkt, das für ihn wirtschaftlich keinen Sinn macht, muss dafür den anderen Systemnutzern einen Ausgleich zahlen.

Das stellt die Gesetze der Marktwirtschaft auf den Kopf. Von der Frage, ob diese Art von kaum verstecktem Kontrahierungszwang mit der Verfassung vereinbar ist, ganz zu schweigen. In einer Marktwirtschaft wäre es genau umgekehrt: Die Anbieter des Guts, dessen Nachfrage sinkt, würden sich fragen, woran das liegt. Und sie würden versuchen, ihre Leistung attraktiver, d.h. billiger zu machen, indem sie sie anders organisieren. Ist etwa die Telekom mit einer Umlage gestützt worden, als wir angefangen haben, Mobil- statt Festnetztelefone zu benutzen? Nein! Sie hat sich angepasst und die Tarife wurden flexibler und günstiger – in der gesamten Branche!

Auch vor dem Hintergrund der Ziele des EEG ist diese Umlage völlig inkonsequent. So heißt es in § 1 EEG wörtlich: “Zweck dieses Gesetzes ist es, insbesondere im Interesse des Klima- und Umweltschutzes eine nachhaltige Entwicklung der Energieversorgung zu ermöglichen, die volkswirtschaftlichen Kosten der Energieversorgung auch durch die Einbeziehung langfristiger externer Effekte zu verringern, fossile Energieressourcen zu schonen und die Weiterentwicklung von Technologien zur Erzeugung von Strom aus Erneuerbaren Energien zu fördern.“ Mit anderen Worten: Nachhaltige Energien sollen solange gefördert werden, bis sie wirtschaftlich, d.h. marktfähig sind.

Und genau das ist in vielen Bereichen bereits gelungen. Gezielte Förderung und Preisverfall haben dazu geführt, dass besonders effiziente oder grüne Energieerzeugungstechnologien wettbewerbsfähig und wirtschaftlich sind. Die starke Nachfrage nach dezentraler Energieerzeugung (z.B. Blockheizkraftwerken oder Photovoltaikanlagen) ist ja gerade ein Beleg dafür. Jeder kann sich inzwischen selbst mit Energie versorgen – weil es wirtschaftlich ist!

Statt diese sinnvolle Entwicklung zu fördern, und den längst überfälligen Systemwechsel voranzutreiben, hält man an den schwerfälligen Strukturen einer zentralistischen Energieversorgung der alten Welt fest. Die dezentrale und effiziente Stromversorgung für Privathaushalte, Großimmobilien und mittelständische Industrie wird damit wieder unrentabel, die Erfolge der Energiewende über Bord geworfen. Und die Prinzipien der Marktwirtschaft als sinnvolle Steuerungsmechanismen und Leitlinien politischen Handelns gleich mit.

Was aber sind die Leitlinien, die die Politik derart unbeirrt am schwerfälligen zentralistischen Versorgungssystem festhalten lässt? Geht es am Ende um Steuereinnahmen – für fremdbezogenen Strom wird schließlich Mehrwehrt- und Stromsteuer fällig, für Eigenverbrauch nicht? Vielleicht zu banal. Ist es Einknicken vor der mächtigen Lobby der Energiekonzerne? Das wäre als Erklärung zu einfach. Geht es darum, die Bürger/Verbraucher besser kontrollieren zu können – ein Interesse, das der Staat mit den großen Versorgungskonzernen teilt? Vielleicht ein wenig paranoid. Allerdings: Wer solche Mutmaßungen von vornherein als irrational abtut, sollte bedenken: Die Energiepolitik ist dies auch!

Sigmar Gabriel und das doppelte Braunkohle-Paradoxon

Dass die aktuelle Energiepolitik voller Widersprüche ist, ist keine neue oder originelle Erkenntnis. Beim Thema Braunkohle sind diese Widersprüche jedoch so haarsträubend, dass auch wir sie hier noch einmal aufgreifen wollen. Allerdings nicht ohne einen positiven Ausblick zu geben: Denn wenn einer wissen muss, wie man diese Widersprüche auflösen kann, dann Sigmar Gabriel reloaded.

Das erste Paradoxon: Die Energiewende, die uns zu einer nachhaltigen, klimaschonenden Energieversorgung führen soll, erzeugt einen Boom der schmutzigsten aller Stromarten: des Braunkohle-Stroms. Im vergangenen Jahr wurde in Deutschland soviel Braunkohle in Kraftwerken verbrannt wie seit 1990 nicht mehr. Damals wurde nahezu der gesamte Osten der neuen gesamtdeutschen Republik noch mit Strom aus DDR-Braunkohlekraftwerken versorgt. Die Folge ist: Trotz massiven Ausbaus von Solar- und Windenergie steigen derzeit die CO2-Emissionen.

Das zweite Paradoxon: Der Braunkohletagebau ist in erheblichem Umfang von der EEG-Umlage befreit. Ganze 67,7 Mio. Euro EEG-Umlage konnte die Branche aufgrund von Befreiungstatbeständen im Jahr 2013 einsparen. Das wussten Sie nicht? Konnten Sie auch nicht wissen. Diese Zahlen wurden von der alten Bundesregierung als “Betriebsgeheimnisse” behandelt und nicht bekanntgegeben. Erst eine parlamentarische Anfrage des Bundestagsabgeordneten Oliver Krischer von den Grünen brachte sie kürzlich ans Licht, wie die Deutsche Umwelthilfe in einer Pressemitteilung berichtet.

Dass ausgerechnet die schmutzige (und im Augenblick für die Kraftwerksbetreiber äußerst profitable) Braunkohle von einer Umlage befreit ist, die den Ausbau der erneuerbaren und klimaschonenden Energien finanzieren soll, ist mehr als erstaunlich. Zumal die “internationale Wettbewerbsfähigkeit” –  das beliebte Totschlagargument für eine Befreiung – hier nicht in Rede steht. In Deutschland wird Braunkohle nur zur Stromerzeugung in deutschen Kraftwerken gefördert. Und die stehen meist in unmittelbarer Nähe des Tagebaus. Wenn eine Branche nicht im internationalen Wettbewerb steht, dann also die Braunkohle.

Aber nun zu etwas Positivem: Mit Sigmar Gabriel ist jetzt genau der Mann Wirtschafts- und Energieminister, der wissen muss, wie man diese Widersprüche auflöst. Denn in seiner Amtszeit als Umweltminister in der vorletzten Legislaturperiode wurde der Grundstein gelegt für die Subvention grünen Stroms und das System der EEG-Umlage. Also genau die Systeme, die jetzt außer Kontrolle geraten sind, sich gegenseitig hochschaukeln und so vollkommen paradoxe und für die Energiewende schädliche Ergebnisse erzielen. Das sollten wir im Hinterkopf haben, wenn Gabriel uns jetzt verspricht, die Kosten der Energiewende in den Griff zu kriegen. Denn er ist nicht nur der mögliche Retter, als der er sich jetzt geriert, sondern eben auch einer der maßgeblichen Verursacher dieser Fehlentwicklung. Hoffen wir also, dass Sigmar Gabriel aus seinen Fehlern lernt und seine zweite Chance nutzt, um diese Fehlentwicklungen zu korrigieren – ohne sich von Lobbygruppen zerreißen zu lassen. Aber keine Sorge, diesbezüglich kann man unseren Politikern ruhig vertrauen.