Strauchelnde Stromkonzerne sind normal!

Dass Märkte sich nicht linear und in friedlicher Idylle entwickeln, sondern mit Brüchen und Begleitschäden, gehört zum kleinen Einmaleins der Ökonomie. Neue Technologien und Produktionsfaktoren setzen sich durch und verdrängen alte Strukturen, die dadurch zerstört werden. Diese so genannte „schöpferische Zerstörung“ ist kein Fehler im System, sondern zwingend notwendige Begleiterscheinung von Innovationen in Technik und Markt. Warum fällt das im Falle der Energiebranche vielen so schwer, zu akzeptieren?

Die Situation der großen Stromkonzerne spitzt sich weiter zu. Vattenfall denkt laut über einen Rückzug aus Deutschland nach, EnBW meldet einen massiven Gewinneinbruch. Die traditionellen Geschäftsmodelle der großen Versorger “tragen nicht mehr”, hatte EnBW-Chef Frank Mastiaux im Juni gesagt. Ähnlich äußerte sich auch RWE-Chef Peter Terium auf der letzten Bilanzpressekonferenz und erwartet einen dramatischen Gewinnrückgang. Tatsache ist: Dezentrale Stromerzeugung durch Photovoltaik und Windkraft ist erschwinglich geworden und breitet sich deshalb immer mehr aus. Das stellt das alte, zentralistische Geschäftsmodell der Konzerne grundsätzlich in Frage.

Dass die Konzerne lautstark darüber lamentieren und alles versuchen, um diesen Prozess zu stoppen, ist verständlich. Wir sollten uns davon und von den kleinteiligen, durch Konzern-Lobbyismus geprägten politischen Debatten um EEG-Umlagen, Ausnahmeregelungen etc. jedoch nicht einnebeln lassen. Stattdessen sollten wir es als das sehen, was es ist: Symptom eines völlig normalen wirtschaftlichen Prozesses – schöpferische Zerstörung.

Eine Abwandlung dieser Idee hat der US-amerikanische Ökonom Clayton Christensen in seinem Buch „The Innovators Dilemma“ formuliert: Er spricht von „disruptiven Technologien“, die den Markt aufmischen und letztendlich neu ordnen. Eine disruptive Technologie ist eine Innovation, die geeignet ist, eine bestehende Technologie und bestehende Marktstrukturen möglicherweise vollständig zu verdrängen. Anschauliches Beispiel ist das Aufkommen der Digitalfotografie, das analoge Fotografie praktisch völlig verdrängt hat. Disruptive Technologien entstehen in der Regel in abgelegenen Nischen des Marktes und vor allem ohne dass die etablierten Anbieter dies erwarten. Als Nischenprodukte mit kleinem Marktvolumen sind sie für die Platzhirsche zunächst nicht interessant. Sobald sie jedoch technisch ausgereift sind, verzeichnen sie ein extremes Wachstum, und sind dadurch in der Lage, vorhandene Märkte komplett oder teilweise zu verdrängen.

Genau das geschieht derzeit auf dem Elektrizitätsmarkt: Die erneuerbaren Energien und dezentralen Erzeugungstechnologien waren zunächst etwas für „Ökos“ und Enthusiasten. Klein und margenschwach mussten sie zu Beginn durch Subventionen gestützt werden. Inzwischen aber sind sie technisch deutlich weiterentwickelt, und vor allem sehr viel billiger und damit erschwinglich geworden. Gleichzeitig – und befeuert durch die sinkenden Kosten – steigt die Nachfrage extrem an.

Es spricht also einiges dafür, dass sich der Energiemarkt in einer disruptiven Phase befindet. In anglo-amerikanischen Medien wird dies inzwischen zunehmend so gesehen, wie z.B. Artikel im Forbes-Magazine oder dem Energy Law Journal zeigen. Hierzulande hat kürzlich der Blog Phasenprüfer diese Auffassung vertreten. Auch der Befund der Investmentbank UBS in Ihrer am 20. August veröffentlichten Branchenstudie geht eindeutig in diese Richtung: „Power is no longer something that is exclusively produced by huge, centralised units owned by large utilities.“ und weiter: „Large-scale power generation, however, will be the dinosaur of the future energy system: Too big, too inflexible, not even relevant for backup power in the long run.“

In der öffentlichen Debatte wird dies jedoch bisher kaum in dieser Deutlichkeit ausgesprochen. Sie ist geprägt von kleinteiligen Scharmützeln um Detailfragen und den Kampf der Konzerne um Ihre Erbhöfe. Dabei wäre die Betrachtung des Themas in einem größeren wirtschaftlichen Zusammenhang einem Großprojekt wie der Energiewende angemessen. Und ehrlicher wäre es auch.

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