„Ökostrom ja, aber nicht durch meinen Vorgarten!“

Der Atomausstieg und der Ausbau erneuerbarer Energien ist vor allem eines: Ein gigantisches Infrastrukturprojekt. Die Erfahrungen von Stuttgart 21 lassen viele befürchten, dass die Umsetzung zum Problem wird.

Eine Studie des Instituts für Demoskopie Allensbach scheint diese Befürchtung zu stützen: 51 Prozent der Deutschen würden den Ausbau bzw. die Erneuerung von Energietrassen in ihrer Region ablehnen. Und das, obwohl laut einer aktuellen Infratest-Studie 94 Prozent der Deutschen den Ausbau erneuerbarer Energien für wichtig oder sogar sehr wichtig halten. Diese „nicht bei uns“-Haltung bei Infrastrukturprojekten ist weder neu noch überraschend. Natürlich möchte niemand gerne im Schatten eines Windrads oder einer Hochspannungsleitung wohnen.

Aufhorchen lassen vielmehr andere Ergebnisse der Allensbach-Studie: So sind 62 Prozent der Bürger der Meinung, dass auch im Einklang mit Planungsrecht gefällte Entscheidungen keinen Bestand haben dürfen, wenn sie die Mehrheit der Bürger für falsch hält. Bürger sollen entscheiden, nicht Bürokraten und Verwaltungsjuristen.

Gleichzeitig ist das Verständnis für den Widerstand Betroffener groß, und zwar auch dann, wenn es sich dabei um eine Minderheit handelt: So halten 76 Prozent Proteste gegen eine Hochspannungsleitung für legitim, die Ökostrom transportiert und die von der Mehrheit befürwortet wird. Das Mehrheitsprinzip tritt hier in den Hintergrund, es dominiert die Solidarität mit den Betroffenen.

Diese „Reflexe“ sind zwar menschlich nachvollziehbar aber auch gefährlich. Denn zum einen spricht daraus ein enormes Misstrauen gegenüber dem Planungsrecht, etablierten Verfahren bzw. dem Staat. Zum andern zeigt sich darin ein Denken in einem grob vereinfachenden „Freund-Feind“-Schema. Die Welt wird eingeteilt in Betroffene (mit denen die Mehrheit solidarisch ist) auf der einen und den eingreifenden Staat auf der anderen Seite. Eine solche Sichtweise wird dem Problem aber nicht gerecht.

Tatsächlich ist das Projekt Atomausstieg ein Vorhaben, das von der überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung getragen wird. Dass die Umsetzung zu lokalen Konflikten führt ist normal. Diese Konflikte sind nicht leicht zu lösen, sondern äußerst komplex und vielschichtig. Aspekte des Gemeinwohls, der Effizienz, der technischen Machbarkeit, Kosten, Anwohnerinteressen und vieles mehr müssen gegeneinander abgewogen und gewichtet werden. Hinzu kommt die demokratisch legitimierte planerische Grundsatzentscheidung für den Ausbau erneuerbarer Energien. Dass ein Plebiszit in der betroffenen Region keine Lösung ist, liegt auf der Hand.

Damit die Umsetzung dennoch gelingt, sind Anstrengung und Gemeinsinn erforderlich. Der Ausbau der Energie-Infrastruktur ist überlebensnotwendig. Er nützt allen und beeinträchtigt wenige. Insofern müsste gerade von den Betroffenen Solidarität mit der Mehrheit verlangt werden. Zumal in Deutschland ein hochentwickeltes und rechtlich eingehegtes Planungsverfahren um Ausgleich der Interessen bemüht ist und Folgen abmildert, etwa bei Beeinträchtigungen des Eigentums von Angrenzern. Ein Leben völlig ohne Kompromisse und Beeinträchtigungen kann in einem demokratischen und hochentwickelten Industrieland niemand verlangen.

Ein Gedanke zu “„Ökostrom ja, aber nicht durch meinen Vorgarten!“